ORBIT360 – Bayern
267 km // 3.100 hm
Mit der ORBIT360-Serie startet 2020 – im Jahr, indem nichts mehr so ist, wie es einmal war – die erste offizielle Gravel-Serie in Deutschland. Auch ich habe mich bereits im Vorfeld darauf gefreut, als ich das erste Mal davon gehört habe. Ich hatte selbst ein paar Mal den Gedanken, dies zu tun, aber nach der Erfahrung der eigenen Veranstaltung Bikepacking Franconia weiß ich nun, wieviel Arbeit das Ganze mit sich bringt. Die Verantwortung, die Organisation, das Rechtliche etc. Das alles geht nur mit einem festen und zuverlässigen Team. Mit Raphael und Bengt scheint das so zu sein. Die Beiden stampfen 2020 die Serie gemeinsam aus dem Boden. Unterstützt von vielen Routern, die für jedes Bundesland die Kurse gestalten. 16 Bundesländer – 16 Kurse. Alles Self-Supported. Das ist die Idee von ORBIT360.
In der ORBIT360-Serie sah ich von Anfang an die Möglichkeit für mich, selbst als Fahrer aktiv daran teilzunehmen. Das, was mir bei Bikepacking Franconia einfach nicht möglich war. Und so habe ich mich dort ziemlich rasch angemeldet um im Race-Modus zu starten. Mein Ziel ist es aktuell, so viele Orbits, als möglich zu fahren, so viele Loops als möglich zu schliessen. Von den 16 Rennen, pro Bundesland eines, werden alle im Self-Support-Modus gefahren, jeder für sich selbst. So wie es dieses Jahr ausschliesslich erlaubt. Am Puls der Zeit sozusagen. Die Infos dazu findet man hier: www.orbit360.cc
Ich nehme mir als ersten Kurs den Bayern-Orbit vor – klar, als Bayer ist das Pflichtprogramm 🙂 Meinen Start lege ich auf den 04.07.2020, der offizielle Starttag der Saison, die sich bis 06.09.2020 erstrecken wird. Am frühen Morgen starte ich in München unter der Großhesseloher Brücke. Noch leicht im dunkeln Wald, verläuft der Kurs der Isar entlang, direkt am Fluss. Schon hier zeichnet sich die aufkommende Wasserdichte ab #landunter. Ich bin keine 10 Kilometer gefahren und sah schon aus, als wäre ich 100 unterwegs. Der viele und schwere Regen der letzten Tage hat seine Spuren hinterlassen. Mir war das bereits bei der Planung klar, denn der Kurs läuft an vielen bayerischen Seen vorbei. Am Sylvensteinspeicher, am Walchensee, Kochelsee, Staffelsee, die Osterseen, Starnberger See, Pilsensee und Ammersee. Folglich war mit viel Wasser auf der Strecke zu rechnen. Also komplettes Badeangebot in der Startgebühr enthalten 🙂 Das erste Mal baden bis zu den Knien ging ich noch vor der Grünwalder Brücke. Ein Pfad, sehr eng, keine Chance dem Wasser auszuweichen – also einfach mitten durch. Direkt an der Grünwalder Brücke geht der Kurs in eine beliebte MTB-Strecke, die Einfahrt dort ist ein wenig tricky. Dann auf schwer befahrbaren Trails unterwegs, alles nicht zu unterschätzen. Wie oft dachte ich mir; „Ich seh’ sie schon, mit ihren Gravelreifen …“ An diesem Moment habe ich mir selbst auch ein MTB gewünscht. Was rückblickend betrachtet eindeutig die bessere Wahl für diesen Kurs ist. Mit meinem Rad geht das schon irgendwie, ich fahre Mountainbike-Bereifung, habe MTB-Erfahrung, kann auch bei schlechten Wetter, auch wenn es nass und hässlich wird. Trotzdem gestaltet sich das Ganze bis KM 50 als sehr mühselig, manchmal auch ein wenig unrhythmisch. Immer wenn es gerade ein wenig rollt, geht es weg vom Schotter und auf einen verblockten Trail, meist mit nassen Wurzeln. Ein kleiner Lichtblick eröffnet sich für mich das erste Mal, als beim Überqueren des Golfplatz Straßlach die Sonne aufgeht. Ein toller Moment! Einer der Gründe, weshalb ich mir das alles immer wieder auf’s Neue antue. Diese besonderen Momente …
Bei Wolfratshausen dann erblickt man das erste Mal die Berge, die Voralpen, ein wenig der Hochalpen ist dort bereits für einen kurzen Abschnitt zu sehen. Was mich aber nicht davon abhält, ein paar Mal auch zu fluchen, gewisse Teile der bisher gefahrenen Strecke zu hinterfragen. Das alles ändert aber nichts an der Tatsache, das heute gefahren wird. Bis es nicht mehr weiter geht. Im besten Fall bis ins Ziel. Es sind immer die gleichen Gedanken, die dich auf Langstrecke begleiten – und trotz aller Höhen und Tiefen geht es immer wieder weiter. Im Notfall absteigen, das Rad tragen, oder auch schieben. Aber nie kapitulieren. Was ein wenig später wieder schnell unter Beweis gestellt werden muss. Im Ellbach- und Kirchenseemoor geht der Track durch ein Sumpfgebiet. Das alles steht an diesem Wochenende komplett unter Wasser. Eine an mir vorbei laufende Dame, riet mir, dort entlang nicht zu fahren. Ich tue es trotzdem. Während ich versuche den Luftweg vom Kurs zu erahnen, sinke ich komplett ein. Ganze 40 cm tauche ich einfach ab, inklusive meinem Rad. Hier hatte ich ein echtes Gefühl von Gefahr gespürt. Hier sollte der Veranstalter den Kurs ändern. Dieses Stück magst du aktuell auch nicht im Dunkeln fahren.
Dieses Moor durchquert und ein Stück noch durch den Wald und Bad Tölz erscheint vor mir. Eine recht schöne und gemütliche Abfahrt führt mich in die Dorfmitte. Mein erster Gedanke – wo Wasser? Schlauch? Dampfstrahler? Irgendwas, mit dem ich mein Rad reinigen kann. Und muss. Der freundliche Werkstatt-Besitzer hilft mir aus, er hatte wohl Mitleid mit mir und meinem unerkennbaren Fahrrad 🙂 Ab dem Moment höre ich wieder das Rasseln meiner Kette, das saubere Pedalieren, es läuft und schmiert alles wieder. Bei KM 80, in Lenggries mache ich meine erste kurze Pause. Auf einen Kaffee und auf ein Croissant beim Bäcker. Die Sonne scheint, ich sitze zufrieden auf Asphalt und geniesse den Moment. Aber es rufen die Berge nach mir 🙂 und so fahre ich rasch weiter in Richtung Karwendelvorgebirge. Vorbei am Sylvensteinspeicher – ein beliebter Ort für Fotos, den ich bereits mehrmals angefahren hatte. Ich halte nicht an, ich will weiter. Ich will hoch, nach oben! Ab hier geht es kontinuierlich aufwärts. Entlang der Isar, an der schönen Mautstrasse Wallgau, dort wo die Isar entspringt. Kurz vor dem wunderschönen Walchensee die Rampe hoch zum Galgenwurfsattel auf 1.055 Meter hoch. Dann eine rasante Abfahrt direkt in Richtung Walchensee. Dieser erscheint am Ende der Abfahrt in voller Pracht. Ein wirklich toller See! #fotostop. Ab hier nur noch Blick in die wunderschönen Berge, die ich so sehr liebe. Hinauf die nächste Rampe mit wieder einer rasanten Abfahrt. Ich nehme mir Ohlstadt bei KM 138 als Pausenpunkt vor, dort gibt es einen mir bekannten Supermarkt. Doch bis dahin heisst es weiterhin noch einige Höhenmeter zu überwinden.
Die Abfahrt nach Ohlstadt ist etwas besonderes für mich, ich mag diesen kleinen und beschaulichen Ort. Dort war ich gerne, ein paar Tage, und ein paar Nächte. Hier habe ich mir sogar eine eigene KOM bei Strava eingefahren – die Einzige, die ich habe 🙂 Doch das Sinnieren wird bald beendet, vom Gefühl der Freude gleich den Supermarkt zu erreichen. Meine Wasserreserven sind am Ende, die Flaschen sind leer, die 3 Liter-Blase im Rucksack auch. Kein Wasser mehr. Und viel, viel Hunger. Dort am Supermarkt mache ich meine einzige echte Pause. Flaschen füllen, Essen auffüllen und soviel Kalorien einschieben, als geht 😀 Nach der Pause nehme ich wieder mein unbepacktes Rad (keine Taschen für Touren unter 300 Kilometer) und fahre weiter in Richtung Murnauer Moos. Auch hier wieder unglaubliche Wassermengen, die sich dort breit gemacht haben. Dem Rad tut’s gut, mir als Erfrischung auch sehr. Also immer mitten durch die Wassermengen, mit einem Lachen im Gesicht 🙂 Dabei im Rücken die Zugspitze, mit 2.962 m der höchste Berg Deutschlands.
Angekommen in Murnau gleich weiter, ab hier wird es wieder wundervoll still. Keine Menschen, kein Verkehr von Touristen im Outback. Nur Rinder und ich 🙂 Vorbei an den Osterseen, in Richtung Starnberger See. Auch hier wäre ein guter Platz für eine Pause. Wer den Starnberger See nicht kennt, sollte hier kurz pausieren. Ich wähle den Weg des Langstreckenfahrers – ein kurzer Blick, ein gutes Gefühl dabei und radelnd daran vorbei. Außerdem sollte in Hersching bereits der nächste Blick auf Wasser folgen – dem Ammersee. Ein unbezahlbarer Anblick am Abend! Allmählich verschwindet die Sonne hinter dem Horizont. Gestartet mit Sonnenaufgang – und jetzt dem Ende so nah, während die Sonne hier wieder untergeht. Und zwischen diesen Stunden nur Radfahren. Ich mag es, den Tag genau so zu erleben.
Die letzten Kilometer erweisen sich dann wieder als beschwerlich, viele Waldwege, teilweise komplett versumpft und unter Wasser. Was kaum zu laufen war, wird natürlich unmöglich mit dem Rad. Ich hatte teilweise schon Schwierigkeiten mit dem Rad auf der Schulter, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Jedoch nur über kurze Stücke hinweg, somit alles machbar. Kein Drama. Das gehört auch bei dem Abenteuer Langstrecke dazu, alles ist möglich mit dem richtigen Equipment. Eine gute Ausrüstung ist eben durch nichts zu ersetzen. Und Erfahrung. Und Essen in meinem Fall 🙂 #insider
Dann der aufregendste Moment des Tages für mich – leider negativ behaftet. Bei KM 246,5 irgendwo im Forstenrieder Park, verabschiedet sich das GPS-Signal. Was mir nicht sofort aufgefallen ist. Während mein Routenblatt auf dem ROAM eingeblendet ist, sehe ich meist selten auf meine Leistungsdaten. Das letzte Mal laß ich KM 246,5. Dann folgte ich weiter dem Punkt. Irgendwann fiel mir auf, dieser Punkt bewegt sich nicht mehr. Ich schalte um auf das Leistungsblatt, der KM-Zähler steht. Keinen Schimmer, wie lange schon. 10 Minuten, 20 oder 30? Keine Ahnung. Das war dieser einzige Moment, indem Panik ausgebrochen ist. Den willst du nicht wirklich erleben. Nicht nach dieser Anstrengung, nicht 16 Kilometer vor dem Ziel. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als den Wahoo ROAM zu reseten, Neustart. In der Hoffnung, dass er tut, was er tun soll – den bereits gefahren Track rekonstruieren, dann wieder den Track herstellen, um in Folge wieder das GPS-Signal zu empfangen. Jetzt Puls 180! Kennst du diesen Moment, wenn du 3 Sekunden diesen Button drückst? Und du weißt, das du nichts weißt. Das du jetzt nur der Technik vertrauen kannst. Ich mag diese Momente nicht wirklich. Besonders nicht in der letzten Stunde vor dem Finish. Glücklicherweise geht alles gut 🙂 der ROAM startet, stellt die gefahrenen 246,5 Kilometer wieder her. Das GPS-Signal ist wieder hier. Einziges Problem, beim erneuten Starten des GPX-Files bleibt mir als einzige Möglichkeit, mich von hier aus zum Startpunkt routen zu lassen. Da aber ein Rundkurs, ergo Start und Ziel am gleichen Ort, tu ich das. Mein Navi bringt mich sicher ins Ziel. Auf den letzten 16 Kilometern. Zwar als Alternative, was aber für mich als echten Langstreckenfahrer im Self-Supportmodus absolut akzeptierbar ist. Es geht darum, sich zu selbst zu helfen, auch in Momenten, die dich kurz über ein Aufgeben oder Scheitern nachdenken lassen. Und dann geht es darum, nie aufzugeben, sich immer einen Plan B machen zu können und den Mut zu haben, diesen Plan dann zu umzusetzen. Um dann im Ziel zu finishen. Darum geht es – niemals aufgeben, immer das Ziel vor Augen zu haben. Egal, was passiert. Es gibt immer einen Plan, der funktioniert.
Ich komme wieder an dem Punkt an, an dem ich heute Früh gestartet bin. Nach 267 harten und beschwerlichen Kilometern. Und mit vielen schönen Bildern im Kopf, kurzen schönen Begegnungen mit Menschen, wenn auch nur immer ein kurzes Lächeln. Während man jemanden überholt, oder dir jemand entgegen kommt, ein nettes Hallo und dafür ein glückliches Lächeln zurück kommt. Diese schönen, kleinen und besonderen Momente sind es … Ride on!