Brevet RONDOM DE ARDENNEN 600 KM

Freies Europa
ohne Grenzen
Niederlande, Belgien, Luxemburg, Frankreich

Manchmal, wenn ich will, dass das Erlebte in meiner Erinnerung bleiben soll, schreibe ich es auf. Manche Dinge vergesse ich auch einfach wieder. Bewußt tue ich das, weil ich es so will. Weil ich weiß, wie Selektion als Filter arbeitet. Es passieren ständig so viele spannende und gute aber auch uninteressante und unschöne Dinge im Leben. Da hilft ein Filter sehr. Manche meiner langen Fahrten mit dem Rennrad sind auch schnell wieder vergessen, manche Brevet-Fahrten sind nur ruhige Kilometer für mich selbst, auf dem Rennrad sitzend zwischen ein Paar Kontrollstellen und Essen (was mehr dem Zweck dient, als das es mir schmecken würde). Nicht mehr, nicht weniger. Nur Ruhe, Entspannung und reduziert auf einfaches funktionieren. Das Brevet „Random de Ardennen“ will ich in Erinnerung behalten. Daher schreibe ich ihn auf, erlebe ihn noch einmal. Ich tue das in erster Linie für mich und für einen kleinen Teil Menschen, von denen ich weiß, dass sie auch daran interessiert sind. Nur Freunde und Bekannte, nur wenige, ich bediene damit keine Massen, ich bin kein Autor, ich verdiene kein Geld damit. Sollte mich also jemand in meiner Schreibweise, in meiner Grammatik oder Syntax korrigieren wollen – es wird ins Leere führen. Pünktlich um 8:00 starten wir in Maastricht. Ausgetragen wurde das Brevet von den Randonneurs.nl aus den Niederlanden. Bei Jos zu fahren hat wirklich Spaß gemacht, alles war top organisiert und wir waren gut versorgt (zum Bespiel die Geheimkontrolle mit Getränken und Süßigkeiten, gelagert in seinem Kofferraum). Ich kenne ja bisher nur die Brevet-Veranstalter aus Nordbayern und die Orga von Paris Brest Paris. Daher ziehe ich wenig Vergleiche daraus. Das will ich auch nicht. Jeder ist anders.

Ich starte mit eine Gruppe Rennradfahrern aus den Niederlanden – ausdrücklich Niederlande, nicht Holland. Das habe ich nämlich am Wochenende von Matthias gelehrt bekommen. Die 4 Fahrer machen gut Tempo, einer davon erzählt mir ständig etwas zum Thema Langstreckenfahren, sitzt aber wie ein Sack Mehl auf dem Rad und pedaliert in Spitzfusstechnik, mit hoher Wippfrequenz im Sattel. Ich lasse ihn erzählen, schweige zwar, höre jedoch zu und bleibe höflich. Die ersten Kilometer sind recht unspektakulär, die erste Kontrollstelle ist bereits bei KM 37. Kurz abstempeln, kurz die Frage, wo kann ich auf die Toilette – ein Thema, welches mich die nächsten Stunden noch häufiger beschäftigen wird. Ich hatte mir irgendwie den Magen verdorben, keine Ahnung wo und wann das begann, vermutlich kam ich schon damit in Maastricht an. Wir waren bereits in Belgien, genauer in Wallonien unterwegs, die nächste Kontrollstelle war bei KM 87 in Lierneux in einem recht gemütlichen Cafe. Dort hatte ich dann das Gefühl, mit ein Paar Deutschen fahren zu wollen und habe mich einer Gruppe aus NRW angeschlossen. Wallonien ist wirklich schön in seiner Naturromantik, es erinnert ein wenig an die fränkische Schweiz, auch ein wenig an den Frankenwald. Dichte Wälder, dünn besiedelt, die Architektur polarisiert zwischen alten Steinbauten und modernen Betonklötzen. Nicht viele Autos auf den Nebenstrecken, nicht viel Verkehr, kein Stress. Lustige Wegweiserschilder mit Zwergen darauf, mit Hinweis auf die „Route de Legend“. Der Wald wird irgendwann dichter – man ist in den Ardennen. Kurz bevor wir Belgien in Richtung Luxemburg verlassen, überwinden wir eine wirklich gut zu fahrende Steigung. Als Mauer zu bezeichnen wäre übertrieben, aber schön mit dem Rennrad zu befahren. Dichter Wald, fast kein Autoverkehr, nur Bäume und wir mit unseren Rennrädern. Oben angekommen im Ort, ich glaube Consthum war der Name, ging es wieder nach unten in Richtung Luxemburg. Die Abfahrt war richtig klasse und hat echt Laune auf mehr gemacht. Wäre ich nicht bei einem Brevet, ich wäre wieder hochgefahren 🙂

Als nächste Kontrollstelle folgte eine Tankstelle in Ettelbruck nach 181 Kilometern. Dort habe ich meinem Magen auch nicht das Beste zugeführt, aber ich hatte einfach Lust auf diese Tankstellen-Würste. Dabei hätte ich lieber mal ein Paar mehr Kohlenhydrate zu mir genommen. Im nach hinein ist man aber immer schlauer. Der Streckenabschnitt der dann kam, erinnerte mich ein wenig an die viele Hügel bei Paris Brest Paris. Ständig nur auf und ab und auf und ab. Nichts richtiges Wildes, einfach nur hoch und runter. Schon hier hatte ich das Gefühl, meine Leistung sinkt. Kein Wunder, alles war rein kam, ging wieder raus. Aber egal – wir sind Rennrad fahren in Frankreich und das macht Laune 🙂 Kontrollstelle 249 KM – 1 Döner und 3 Dosen Cola. Mein Magen hatte große Freude, ich hatte wieder Energie – kurzzeitig. Manchmal dachte ich, ich kann jetzt gleich keinen Meter mehr fahren. Ich war mir nicht sicher, ob das mit der Schilddrüsenunterfunktion zu tun hatte, die mich seit einem halben Jahr ausbremst, oder ich jeden Moment einfach nur explodieren werde. Ab diesem Moment war es besser, die Gruppe zu verlassen. Ich entschied mich, alleine weiter zu fahren. Besser für mich, besser für die Gruppe. Es liegt mir nicht, wenn andere auf mich warten müssen. Dann lieber alleine sein. Dafür war es traumhaft ruhig hier und wirklich friedlich. Wunderschöne Ortschaften in Frankreich wurden durchquert, nur wenig davon besiedelt. Wenn ich Menschen sah, habe ich mich gefragt, wie man sich hier denn fortpflanzt, ohne sich mit den Gleichen zu mischen. Gegen Mitternacht kam ich zu einem Mc Donalds in Sedan. Die Gruppe NRWler hatten mir vorab davon erzählt und meinten, man könne sich hier noch einmal „aufladen“ bevor die Nacht, mit keiner Möglichkeit für weitere Verpflegungen, begann. Ich glaube, ich kam ziemlich genau um 0:00 an, ging an die Kasse und wurde von dem Typen erst mal blöd belächelt. Keine Ahnung weshalb. Ein Franzose eben, der einen Deutschen sieht. Das juckt mich nicht wirklich, ich wollte bestellen. Dabei wurde mir gesagt, man müsse bei Mc Donalds mittlerweile an einem Touch-Display bestellen. Das wußte ich nicht, ich meide diese Läden. Ab an das Display und nichts ging. Ich fragte den Dicken, der mich eingehend belächelt hatte, wo denn das Problem sei, weil sich nichts an dem Display tat. Während dessen war es kurz nach 12 Uhr Mitternacht. Die freundlichen Blondinen an einem Tisch teilten mir mit, es sei nun geschlossen. Kein Essen mehr, keine Getränke. Den ganzen Laden voll mit Waren, alles an der Theke noch in Betrieb und es gab keine Möglichkeit noch etwas zu kaufen. Mein Körper wollte einfach nur Kohlenhydrate und etwas Wasser mit Koffein & Zucker für die lange Nacht. Stinksauer packte ich meine Sachen zusammen und verließ den Eierladen. Nun war der Moment da, an dem ich besser wieder alleine fahren sollte. In diesen Momenten kann ich keine Menschen mehr leiden, niemanden – ausnahmslos. Dieses Gefühl hält nicht lange an, aber wenn es da ist, bin ich ungeniessbar und kein wirkliches Geschenk für die Menschheit. Man möge mir dann bitte aus dem Weg gehen, ich mache nie ein Geheimnis darum. Ich schiebe das gerne auf den Verlust meiner Schilddrüse, vielleicht ist es aber auch mehr und es sitzt viel tiefer. So fuhr ich mit mieser Laune alleine weiter, nur meine Riegel und Nüsse im Gepäck. Den nächsten Stempel für die Brevet-Karte holte man sich in der Ortschaft Charleville-Mézières.

363 Kilometer waren gefahren. Nun sollte es ca. 80 Kilometer am Kanal an der Maas weiter gehen. Ca. 3 bis 4 kalte Stunden am Wasser bei Dunkelheit. Einmal angefangen, sollte man meiner Erfahrung nach nicht mehr groß anhalten. Nachts an einem Kanal ein wenig Powernapping geht nicht. Es ist immer kalt am Wasser, die Kälte zieht unter die Kleidung und in den Körper. Niemand will dort kurz ein Nickerchen machen. Bei mir kam eh keine große Müdigkeit auf, da ich noch immer am Fluchen war, verärgert über das Verhalten dieser Menschen im Mc Donalds. Außerdem hatte ich Musik dabei, die mich wach hielt. Noch vor dem Brevet habe ich mir Drones von Muse gekauft und ein Paar alte Sachen von den Chemical Brothers. Das war meine Nacht. Mitten im Wald auf dem Radweg, pedalieren am Kanal, mit lauter Musik aus den Kopfhörern. Ab und zu werde ich gefragt, ob das denn sein muss, die Nacht über zu fahren und ob das denn nicht zu anstrengend oder zu gefährlich sei. Ja, es muss ab und zu sein! Hin und wieder eine Nacht überspringen reinigt meinen Geist. Es macht meinen Kopf sauber, ordnet meine Gedanken. Mir persönlich tut das auch nachhaltig gut, daher ist keine anstrengende Sache. Vielleicht sind es aber auch nur Folgeschäden aus meiner Zeit, als wir 8 Tage pro Woche raven waren 😉 Als es hell wurde und ich denn richtigen Weg an die Grenze von Frankreich nach Belgien verpasst habe, hatte ich den ersten Platten bei diesem Brevet. In der folgenden Weiterfahrt habe ich mich so dermaßen verfahren, dass ich ca. 15 Kilometer vor Namur mehr im Wald, auf Waldwegen und Schotter unterwegs war, als das ich festen Asphalt unter mir hatte. Nicht wirklich Rennrad-tauglich, aber machbar. Ich bin letztes Jahr die Claudia Augusta am Fernpass im Wald bei Regen mit dem Cervelo und Hochprofilfelgen auf Schotter gefahren, was soll noch schlimmer sein. Nur diesmal war das nicht Teil der Route, sondern ein weiterer Fehler aufgrund von Unwissenheit. Routing deaktivieren vor jedem Brevet ist eine clevere Sache. Leider vergesse ich es jedesmal.

Die Hauptstadt von Wallonien ist Namur – dort gab es eine freie Kontrollstelle nach KM 493. Soll heißen, man sucht sich jemanden, der dir einen Stempel gibt, als Beweis, dass du dort warst. Ich konnte nichts finden, was hier schon geöffnet hatte, somit kurz ein Foto von mir und etwas Eindeutiges von Namur und weiter. Meine schlechte Laune hatte sich nach der Cyclocross-Einheit wieder aufgelöst, alles war gut, ich war weder müde, noch schlecht gelaunt. Nur ein wenig schwach, ein bisschen das Gefühl von Leere, nichts was mir unbekannt ist. Der Tag begann, die Sonne breitete ihre warme Kraft aus und ich befand mich die nächsten 55 Kilometer auf Radwegen. Gut so auf den letzten 100 Kilometern. Wieder Zeit für Musik. An der vorletzten Kontrolle bei KM 550 treffe ich wieder auf die Gruppe aus NRW, die sich hier bereits ein Bierchen gönnen. Richtig, denke ich mir. Leider habe ich selbst darauf verzichtet, mein Magen hat sich gerade wieder ein wenig beruhigt und das sollte nun auch so bleiben. Mit aufgeladenen Wasserflaschen nur noch 50 km bis ins Ziel. Es folgten noch zwei Platten, deren Schuld ich auf den Zustand der belgischen Straßen geschoben habe. Denn wenn hier bei uns noch einer über die Straßen meckert, schicke ich ihn nach Belgien, nach Wallonien oder nach Flandern. Oder beides.

Um 14:30 Uhr bin ich schliesslich im Ziel in Maastricht angekommen. 30,5 Stunden inklusive aller Kontrollen und Pausen zur Nahrungsaufnahme. Einmal rund um die Ardennen ist ein wirklich schöner Brevet und bietet viel Natur und schöne Landschaften. Man fühlt sich wie ein echter Europäer. Starten in den Niederlanden, durch Belgien in Richtung Luxemburg, dann durch das wunderschöne Frankreich, auf dem Rückweg noch einmal zurück nach Belgien und dann wieder rein in die Niederlande. So viele unterschiedliche Eindrücke und Bilder, verschiedene Sprachen und Menschen, das alles in ein Paar Stunden. Europa ist einfach das Beste, was uns je passiert ist. Europa ist wahres Gefühl von purer und grenzeloser Freiheit. Hoffentlich bleibt das für immer so. Veranstalter und Event:

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